Vor einem Jahr hätte sich wohl kaum jemand vorstellen können, dass die Pandemie auch jetzt noch bestimmend ist für unseren Alltag. Doch es ist wahr: Auch in der Passionszeit 2021 erleben wir weiter Einschränkungen und das Virus ist weiterhin eine Gefahr. Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme sind ebenso in besonderem Maße geboten wie Geduld und Unterstützung für die von der Krise besonders hart Betroffenen – und ebenso auch geistliche Stärkung, die Halt und Orientierung geben kann, weil sie erinnert, dass Jesus gerade auch die schweren und harten Wege unseres Lebens mitgeht. Deshalb möchte ich mit Ihnen an den Sonntagen und in den Wochen der Passionszeit nachdenken über die Stationen SEINES Leidensweges. Den „Kreuzweg“, wie er auch genannt wird, begehen wir in der Regel am Karfreitag in sieben oder auch vierzehn Stationen, zeitlich recht eng gefasst. In diesem besonderen Jahr lade ich Sie ein, sich mehr Zeit zu nehmen und den Gedanken vielleicht noch intensiver nachzuspüren. Wir beginnen mit der ersten Station:

Jesus wird verurteilt

Schriftwort: 1. Johannesbrief 3, 8b (Wochenspruch)

Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass ER die Werke des Teufels zerstöre.

Liebe Schwestern und Brüder!

Den Worten aus dem 1. Johannesbrief merkt man sofort an, dass sie geraume Zeit nach Ostern geschrieben wurden. Denn erst dann erkannten die Christen die volle Bedeutung des Leidens, Sterbens und Auferstehens Christi. Dass Tod und Teufel gegen IHN nicht die Spur einer Chance hatten, sondern dass ER sie besiegte. Am Anfang SEINES Leidensweges jedoch sah das für SEINE Jünger noch ganz anders aus. Da erlebten sie, wie ihr HERR und Meister in die Hände eines Teufels in Menschengestalt geriet – des römischen Prokurators Pontius Pilatus, dem Praefekten der Provinz Iudaea, dessen Namen die Christenheit niemals vergessen wird. „Gelitten unter Pontius Pilatus“ heißt es kurz und zutreffend im zweiten Artikel des Glaubensbekenntnisses, der von Christus spricht. Dass Pilatus in den Evangelien so gut wegkommt, fast als unschuldig am Tode Jesu dargestellt wird, der sich sprichwörtlich die Hände „in Unschuld“ gewaschen haben soll, werden die Christen zur Entstehungszeit der Evangelien angesichts der immer grausamer werdenden römischen Christenverfolgung nur als beißende Ironie verstanden haben. Pontius Pilatus machte sich nicht viel Mühe mit Jesus. Für ihn war ER nichts weiter als einer von vielen wirklichen oder möglichen Hochverrätern, der einen Aufstand gegen die Römer plante. Von daher stand schon vor dem Schnellverfahren das Urteil über Jesus fest: Tod durch Kreuzigung – eine langsame und qualvolle Todesfolter. Jesus würde nur einer von vielen hundert Judäern sein, die Pilatus kreuzigen ließ. Pilatus brauchte Ruhe in der Provinz und vor allem in der Stadt Jerusalem. Die Oberen in Rom sollten sehen, dass er alles im Griff hatte und sich eignete für einen noch höheren Posten.

Grafik: J.Reichmann

Der Prozess gegen Jesus war ein Schauspiel seiner Macht. Wir sehen nur die Hand des Pilatus, des mächtigsten römischen Beamten im ganzen Land. Eine einzige Handbewegung von ihm entschied über Leben und Tod. Daumen runter – und alles war aus. Noch ein paar letzte Stunden zurück in den Folterkeller der Burg Antonia, das war alles, was Jesus blieb. Qualvoll dehnte sich die Zeit, in der IHM die Folterknechte den Rest SEINES Lebens zur Hölle machten. Sobald es hell wurde, begann SEIN Weg zur Hinrichtungsstätte, Schritt für Schritt dem Tod entgegen. Jesus, der unschuldig war, wurde zum Tode verurteilt, nur weil einer die Macht dazu hatte.

Daumen runter und alles ist aus. So schnell fallen Urteile über Leben und Tod in nicht wenigen Ländern bis heute, in unserer zivilisierten Welt des 21. Jahrhunderts. Römische Präfekten gibt es nicht mehr, aber ihre gewissenlosen und machthungrigen Nachfolger regieren große Länder dieser Erde. Machtmissbrauch ist teuflisch. Immer noch werden Menschen Opfer von Willkürjustiz und Menschenverachtung, sterben in Folterkellern oder werden in Schauprozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Amnesty International sammelt und veröffentlicht die Fakten.

Aber es muss ja nicht immer gleich um Leben und Tod gehen. Wie schnell urteilen wir, wie schnell urteile ich über andere Menschen, senke innerlich den Daumen, weil ich sie nicht verstehe? Wie gehen wir miteinander um? Welche Machtspiele betreiben wir und wer bleibt dabei auf der Strecke? Es lohnt sich, in den Wochen der Passionszeit einmal ehrlich darüber nachzudenken, welche Denkmuster und welche Bilder wir im Kopf haben, die zu Urteilen über andere führen. Wie schnell sind wir mit unseren Urteilen bei der Hand oder haben wir da „Spielraum“?

Ein schnelles, kaltes Urteil, das dem anderen keine Chance gibt, ist teuflisch, weil es den Menschen abwertet. Auch das geschieht in dieser sehr angespannten Zeit immer öfter: Da reicht schon eine andere Meinung, und der andere muss lesen oder hören, dass er keine Ahnung hätte, alles falsch sieht und macht und dass man mit ihm ab sofort nichts mehr zu tun haben will. Daumen runter, abgeurteilt. Und wenn es mit dem Symbol „Daumen runter“ in den „sozialen Netzwerken“ geschieht.

Teuflisch, oder? Menschenwürdig jedenfalls nicht, denn fürchten wir uns nicht alle davor, von irgend jemandem ungerecht beurteilt oder gar verurteilt zu werden? Und christlich ist solch eine Art des Umgangs schon gar nicht. Der Verfasser des 1. Johannesbriefes schreibt etwa zu Anfang des zweiten Jahrhunderts nach Christi Geburt: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass ER die Werke des Teufels zerstöre.“

„Zerstöre“, steht da, in einer schönen alten Verbform des Konjunktivs. ER möge die Werke des Teufels zerstören, soll es bitte tun, könnten wir heute umgangssprachlich eher sagen. ER kann es und nur IHM kann es endgültig gelingen, alles als teuflisch zu entlarven und zu überwinden, was uns hindert, menschlich und friedlich miteinander zu leben. Und ER eröffnet uns die Möglichkeit, IHM dabei zu helfen, als Menschen, die IHM vertrauen. Wenn wir es wagen, Schritte zum Frieden und zur Versöhnung zu gehen. Wie das geht, hat Jesus uns nicht nur gesagt, sondern auch vorgelebt. Und für den Anfang, für die allerersten Schritte auf diesem Weg in unserem Alltag, hilft auch eine ganz einfache, humorvolle Gebrauchsanweisung: „Vor dem Einschalten des Mundwerks Gehirn einschalten!“ Und die gilt erst recht für die (innere) Bewegung des Daumens. Amen

Gebet:

Wir bitten um DEIN Erbarmen HERR für alle, die von Berufs wegen Urteile fällen müssen, dass sie klug und unbestechlich prüfen, bevor sie sprechen.

Wir bitten für alle ungerecht Verurteilten, dass DU ihnen auf DEINE Weise Gerechtigkeit verschaffst. Wir bitten für alle zu Unrecht Verfolgten und für alle, die vor Unrecht aus ihrer Heimat fliehen müssen.

Wir bitten DICH für uns selbst, dass wir lernen, von vorschnellen Urteilen über andere loszukommen, zuzuhören und zu verstehen, was anderen am Herzen liegt.

Wir bitten DICH, HERR, schenke uns die Geduld und den Mut, DEINEN Weg der Liebe zu gehen. Gib uns DEINEN guten Geist, der vergeben kann denen, die ihm wehtun.

Wir bitten DICH, HERR, sei gnädig, dass den Bösen gewehrt und den Hungernden geholfen werden kann, dass die Friedlosen aufatmen und die Sterbenden DEINE Nähe erfahren. Tröste die Trauernden und stärke die Ängstlichen.

Erbarmender Gott, erhöre uns. Amen

Beten wir das Vaterunser:

Vater unser im Himmel

geheiligt werde Dein Name

Dein Reich komme

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen

Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit

in Ewigkeit.

Amen

Es segne uns der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

AMEN