von ev. Pfarrer Reichmann Pößneck

Schriftwort: Apostelgeschichte 2, 1- 14

Schließlich kam das Pfingstfest. Auch an diesem Tag waren sie alle wieder am selben Ort versammelt. Plötzlich setzte vom Himmel her ein Rauschen ein wie von einem gewaltigen Sturm; das ganze Haus, in dem sie sich befanden, war von diesem Brausen erfüllt. Gleichzeitig sahen sie so etwas wie Flammenzungen, die sich verteilten und sich auf jeden Einzelnen von ihnen niederließen. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt, und sie begannen, in fremden Sprachen zu reden; jeder sprach so, wie der Geist es ihm eingab. Wegen des Pfingstfestes hielten sich damals fromme Juden aus aller Welt in Jerusalem auf. Als nun jenes mächtige Brausen vom Himmel einsetzte, strömten sie in Scharen zusammen. Sie waren zutiefst verwirrt, denn jeder hörte die Apostel und die, die bei ihnen waren, in seiner eigenen Sprache reden. Fassungslos riefen sie: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden? Wie kommt es dann, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache reden hört? Wir sind Parther, Meder und Elamiter; wir kommen aus Mesopotamien und aus Judäa, aus Kappadozien, aus Pontus und aus der Provinz Asien, aus Phrygien und Pamphylien, aus Ägypten und aus der Gegend von Zyrene in Libyen. Sogar aus Rom sind Besucher hier, sowohl solche, die von Geburt Juden sind, als auch Nichtjuden, die den jüdischen Glauben angenommen haben. Auch Kreter und Araber befinden sich unter uns. Und wir alle hören sie in unseren eigenen Sprachen von den wunderbaren Dingen reden, die Gott getan hat!« Alle waren außer sich vor Staunen. »Was hat das zu bedeuten?«, fragte einer den anderen, aber keiner hatte eine Erklärung dafür. Es gab allerdings auch einige, die sich darüber lustig machten. »Die haben zu viel süßen Wein getrunken!«, spotteten sie.

Liebe Schwestern und Brüder!

Was genau feiern wir zu Pfingsten? Sind Sie das auch schon einmal von interessierten Nichtchristen gefragt worden? Und was haben Sie geantwortet? Naheliegend wäre: Pfingsten, das ist der Geburtstag der Kirche. Stimmt. Aber eine Antwort für Außenstehende ist das nicht ohne den Bezug zur Pfingstgeschichte, die uns Lukas überliefert hat. Und auch die beginnt erst zu sprechen, wenn wir uns in sie hineinbegeben.

Die Jünger Jesu hatten ein Wechselbad der Gefühle hinter sich. Als sie mit Jesus in Jerusalem eingezogen waren, trug sie die Woge ihrer Begeisterung immer höher – bis sie sich am Abend des Gründonnerstags überschlug. Hart schlugen sie auf dem Boden der grausamen Wirklichkeit auf: Jesus verhaftet, den Römern ausgeliefert, schon am nächsten Tag hingerichtet und sie selbst ab sofort ebenfalls in Lebensgefahr. Sie versteckten sich voller Angst. Weitere drei Tage später die absolute Verunsicherung – die Frauen berichteten ihnen, dass Jesus lebt!

Und dann kam der Auferstandene auch zu ihnen. Langsam fassten sie Mut, fanden Halt, konnten die lähmende Angst überwinden. Aber dann verließ sie der Auferstandene wieder und die Angst kam zurück. Mutlos versteckten sie sich, schraken bei jedem Klopfen an der Tür zusammen: Würden sie jetzt abgeholt werden? Allein gegen die Angst – das konnte nichts werden. Ewig im Versteck bleiben genau so wenig. Eine ausweglose Lage nach menschlichem Ermessen.

Aber nicht für die Gotteskraft, den Heiligen Geist. Der Heilige Geist – das klingt so erhaben, so weltfremd. Aber kann es sein, dass wir einfach falsch übersetzen? Oder besser: Dass unsere Vorfahren einst falsch übersetzt hatten? Der Heilige Geist. Drei Worte, deren Farbe im Laufe der Jahrhunderte immer mehr verblasste, weil die Vorfahren versuchten, ihn in eine große Flasche zu sperren und fest zu verkorken. Sie wollten ihn zähmen, still legen. Bloß kein Sturm, noch nicht einmal im Glas, bitte. Auf das Etikett schrieben sie fein säuberlich: Heiliger Geist, der. Bitte nicht öffnen! Verflüchtigt sich! Die Schrift ist kaum mehr zu lesen nach all der Zeit. Die Flasche ganz hinten im Keller, bei den abgelegten und vergessenen Sachen.

Wie konnte das passieren? Kann es sein, dass unsere Vorfahren falsch übersetzt hatten? Der Heilige Geist sagen wir. Die Evangelien schreiben auf griechisch: „Pneuma“. Das heißt zunächst einmal Wind, frische Brise, kräftige Böe. Der Wind Gottes also, der weht wo und wann er will. Unverfügbar, immer aber förderlich für das Leben.

Jeder und jedem, der wie die Jünger damals in ihrem Versteck vor lauter Angst nicht ein noch aus weiß, stärkt er den Rücken. Was auch immer die Angst auslöst, die Heilige Geistkraft wird zum Rückenwind, beflügelt, bläst oft genug auch den Weg frei, den wir vor lauter Angst oder Zweifel nicht zu sehen wagen.

Ich bin mir sicher: Wir alle kennen solche Pfingstmomente: Ich spüre den »Rückenwind« im übertragenen Sinn. Ich fasse Mut, den ersten Schritt aus meiner Enge hinaus zu gehen, weil ich weiß: Der Heilige ist mit mir. Das gibt mit Kraft und Mut und ich kann sagen: Ich erwarte Gutes. Ich gebe mein Bestes und ich vertraue auf die Hilfe von oben. Wer das erlebt, der leuchtet geradezu von innen, hat eine positive, energiegeladene Ausstrahlung – im Bild gesprochen: Wie Flammenzungen.

Aber auch das griechische Wort Pneuma fasst nicht ganz, was in der Sprache des Volkes Gottes gesagt wird: „Ruach Elohim“. Ruach Elohim, der „Geistwind des EWIGEN“, genannt nach dem glühenden Wind, dem Sturm aus der arabischen Wüste, der die gewaltigen Sanddünen vor sich her treibt und damit im wahrsten Sinne des Wortes Berge versetzt. 378 mal kommt das Wort Ruach vor im Ersten Testament, gleich von Anfang an. Denn Ruach Elohim ist nicht nur kraftvoll, sondern die Kraft des Schöpfers selbst.

Ruach hat die Welt erschaffen und befreit Gottes Volk aus der Sklaverei: Ruach kam auf Moses herab. Der Prophet Hesekiel sieht, wie Ruach Totengebeine wieder zum Leben erweckt. Sobald Ruach herabregnet, sehen die Söhne und Töchter Israels ihr Leben und die Zukunft im Lichte Gottes, weit über das hinaus, was menschenmöglich ist. Und in den entscheidenden Augenblicken der Menschheitsgeschichte erleben wir ein Stück dieser Zukunft Gottes – wie die Jünger damals am allerersten Pfingsttag in Jerusalem: Die lähmende Angst ist weg geblasen. Das Wunder geschieht: Alle Menschen verstehen sich. Das schafft nur Ruach Elohim, die schöpferische Geistkraft des EWIGEN.

Zu Pfingsten feiern wir diesen herrlichen Blick in Gottes Zukunft und erinnern uns an die befreiende Kraft des schöpferischen, unberechenbaren Geistes Gottes. ER schenkt uns Kraft und Mut für unsere Gegenwart. IHM können wir vertrauen, weil ER dafür sorgt, dass Gottes Zukunft Wirklichkeit wird. Sagt es weiter, jeder und jedem, der es wissen will!

Aber rechnet nicht damit, dass euch alle verstehen. Es gibt sie auch heute noch, die überheblichen Spötter, die am Rand stehen und ihre völlig unpassenden Kommentare abgeben – so wie damals in Jerusalem. Da hatten sie behauptet, die Jünger „hätten zu viel süßen Wein getrunken“ – Haben Sie schon einmal einen Betrunkenen erlebt, der plötzlich fließend eine fremde Sprache sprechen konnte? Der menschliche Geist ist und bleibt eben beschränkt und kommt ohne die Heilige Geistkraft niemals aus seiner Enge heraus. Darum lasst uns um SEINE Kraft für alle bitten.

Amen.

Gebet : HERR unser Gott, Dein Geist setzt Menschen in Bewegung. Durch ihn beginnt die neue Welt, die Du uns verheißen hast.

Wir bitten Dich: Stärke unser Vertrauen und begeistere uns für Deinen Weg der Liebe.

Lass uns miteinander suchen nach Zeichen Deiner Gerechtigkeit in unserer Welt, die uns Hoffnung und Zuversicht schenken.

Lass uns aufmerksam sein, überall dort, wo Menschen verweigert wird, was sie zum Leben brauchen: ausreichende Bildung, Schutz und Hilfe in Not, wie auch immer diese Not aussieht.

Lass uns zu Menschen werden, die von Deiner Heiligen Geistkraft bewegt werden und helfen, wo Hilfe gebraucht wird.

Beten wir das Vaterunser:

Vater unser im Himmel

geheiligt werde Dein Name

Dein Reich komme

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen

Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit

in Ewigkeit

Amen

Es segne uns der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

AMEN