von Pfarrer Jörg Reichmann Pößneck
Zum Sonntag:
Das gab es wohl noch nie in der Geschichte des Christentums: Gottesdienste ohne Gemeindegesang – wie sie gegenwärtig durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona – Pandemie vorgeschrieben sind. Dabei gehört das gemeinsame Singen der alten und neuen Glaubenslieder zu einer der schönsten und stärkenden Erfahrungen für die meisten Glaubenden. Selbst unmusikalische Menschen fühlen sich darin mitgetragen. Es ist also ein echter, schmerzhafter Verzicht, der uns da abverlangt wird und der besonders am Sonntag Kantate ins Bewusstsein rückt, der in guten Jahren immer auch mit musikalischen Höhepunkten im Gottesdienst gefeiert wird. Nun, die Not macht erfinderisch. Sologesang im stillen Kämmerlein oder unter der Dusche, ein Minichor aus Verwandten sind nicht verboten. Und für den Gottesdienst haben wir Gott sei Dank die Orgel, die Königin der Instrumente. Die kann vielstimmig zur Ehre Gottes jubilieren.
Übrigens: Wie wäre es mit einem Ständchen zum Muttertag? Mal was anderes als Blumen und Pralinen – oder als Ergänzung dazu?
Schriftwort: Offenbarung 15,3b + 4
»Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, du allmächtiger Gott! Gerecht und gut sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte sich dir nicht in Ehrfurcht unterstellen, Herr? Wer sollte deinen Namen nicht ehren? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und vor dir niederfallen, um dich anzubeten. Denn dein gerechtes Tun ist für alle sichtbar geworden.«
Gedanken zum Schriftwort:
Das Buch der Offenbarung erzählt in drastischen Bildern vom Ende der Welt, aber viel wichtiger noch: vom endgültigen Sieg Christi über alle widergöttlichen Mächte am Ende der Zeiten. Weit geht der Blick des Sehers Johannes über seine Lebenszeit hinaus, die bestimmt war durch die zunehmende Unterdrückung und Verfolgung der Christen im römischen Reich. In der Gegenwart, die kaum zu ertragen war, war das Vertrauen in Christus der einzige Halt. Das Vertrauen in den auferstandenen HERRN, der sogar den Tod besiegt hatte. Und gegen den würde auch der römische Kaiser mit all seiner grausamen Macht am Ende der Zeit den Kürzeren ziehen. Eine Zukunftserzählung also und auch Zukunftsmusik. Denn die Worte aus dem 15. Kapitel sind der Text eines Lobliedes auf den Sieg Christi. Wie die Christen der Gemeinde des Sehers Johannes dieses Lied sangen, wissen wir nicht mehr. Schade, doch so kann jede und jeder, der oder die IHM vertraut, diese Worte frank und frei auf die eigene Lebensmelodie singen, summen, pfeifen oder vielleicht auch brummen – auch wenn die Gegenwart vielleicht gar nicht so rosig aussieht.
»Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, du allmächtiger Gott! Gerecht und gut sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte sich dir nicht in Ehrfurcht unterstellen, Herr? Wer sollte deinen Namen nicht ehren? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und vor dir niederfallen, um dich anzubeten. Denn dein gerechtes Tun ist für alle sichtbar geworden.«
Die Musik ist, wie Martin Luther schrieb, eine Gottesgabe; sie ist der beste Trost für einen verstörten Menschen. Sie macht, so fährt er fort, Menschen gelinder, sanftmütiger, sittsamer und vernünftiger. Weil er sich wiederfinden kann mit seinem kurzen, anstrengenden Leben im großen Heilsgeschehen dieser Welt, das mit Christus zu einem guten Ende kommen wird.
Nicht nur mir fällt auf: die Zahl derer, die diese Lieder in der Kirche mitsingen können, nimmt stetig ab. Bei Taufen oder auch zur Konfirmation und immer deutlicher auch zu Weihnachten wird der Gemeindegesang manchmal so dünn, dass nur die kraftvolle Orgel noch den Eindruck von Fröhlichkeit aufrechterhalten kann. A capella wäre das Ergebnis ernüchternd. Warum aber ist das so? In der Regel sind die Weihnachtslieder bekannt. Sie werden in meist volkstümlichen Varianten auf jedem Weihnachtsmark in Endlosschleifen gespielt. In der Kirche singt trotzdem kaum einer mit. Bei Taufe und Konfirmation werden die Lieder gemeinsam vorher ausgesucht und besprochen. Manchmal habe ich den Eindruck, das könnte man auch bleiben lassen. Eine wirklich singende Gemeinde bleibt trotzdem eine berührende Ausnahme.
Die Leute singen nicht mehr selbst – so behaupten einige immer wieder. Sie lassen singen, aus der Konserve. Aber das stimmt so nicht. Denn Lieder, die die Sehnsucht nach Frieden, Geborgenheit und Liebe ganz tief im Inneren anrühren und nach heiler Welt und Sonnenschein klingen, sind sehr beliebt. Musikrichtungen aus dem Wohlfühlsektor haben auch bei uns eine große Anhängerschar, die ihre Lieblingsinterpreten immer wieder einlädt und nicht selten jedes Lied mitsingen kann.
„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, denn böse Menschen kennen keine Lieder“, sagt ein volkstümlicher Vers. Das stimmt aber leider nicht immer. Denn nicht jedes Lied ist heilsam. Es gibt sie eben auch, die Schlachtgesänge in den Stadien, die den Gegner im Spiel verunglimpfen und entwürdigen. Und es gibt sie wieder (oder immer noch…), die wirklich bösen Menschen, die immer dreister mit ihren Liedern die Seelen ihrer Zuhörer vergiften, wenn sie sie auf „Konzerten“ lauthals grölen oder von so genannten „Liedermachern“ vorsingen lassen. Wie jede Gottesgabe kann auch die Musik missbraucht werden und Unheil stiften.
Es kommt eben darauf an, was man singt und mit wem man singt, In der Offenbarung des Johannes sind es die Christen am Ende der Zeit, die trotz aller Katastrophen und Verfolgungen weiter ihre ganze Hoffnung, ihren Halt und ihre Zuversicht aus dem festen Vertrauen in den auferstandenen HERRN geschenkt bekamen. Und Johannes schrieb dieses Lied auf, damit seine Zeitgenossen es schon heute singen konnten. Denn der HERR kommt aus der Zukunft auf uns zu, wie das Wort schon sagt.
Ein Mensch, der in der finstersten Zeit der Geschichte unseres Volkes aus diesem Glauben lebte, hatte die Gabe, dies in Worte fassen zu können, die Sie alle kennen. Natürlich wurden sie auch immer wieder vertont. Sein Name: Dietrich Bonhoeffer, ermordet vor 75 Jahren, am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg, vier Wochen vor dem Ende des mörderischen Krieges.
Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Dietrich Bonhoeffer, Von guten Mächten, in seinem Brief an Maria von Wedemeyer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße, 19. Dezember 1944. Erstmals veröffentlicht 1951 in: Eberhard Bethge (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft.
Amen