(Foto: U. Thalmann, privat)
Geht das überhaupt, dass Steine schreien? Steine sind doch eher stumme Zeugen der Vergangenheit. Wie sollen sie ihre Stimme erheben? Steine liefern Anstoß – z.B. die Stolpersteine (siehe auch www.stolpersteine.eu), die von dem Künstler Gunter Demnig in vielen Städtenverlegt worden sind uns zuerst an jüdische Mitbürger erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus getötet wurden. Anstoßen sollen sie das Nachdenken und die Erinnerung an geschehenes Unrecht und Gewalt gegenüber Menschen, die in der Nachbarschaft gelebt haben. Sie schreien auf ihre Weise.
Szenenwechsel: Jesus zieht mit seinen Freunden in Jerusalem ein. Das Passahfest wollen sie miteinander feiern, das Fest, an dem Juden sich an die Befreiung von der Knechtschaft erinnern- an den Auszug aus Jerusalem, an Jahwes wunderbares Wirken. Sie werden lautstark empfangen. Menschen jubeln ihnen zu. Sie sehen in Jesus den Messias, den Befreier, den, der das ersehnte Reich Gottes und Schalom bringt. Nicht allen ist das recht. Einzelne Gruppen wollen Jesus und seine Anhänger zum Schweigen bringen, denn sie wiegeln die Massen auf, schaffen Unruhe, gefährden die Ordnung, hinterfragen Glauben und Einstellung. Dabei rühmen sie nur Erfahrenes: Wunder, die sie erlebt haben – Heilung und Befreiung, die es gab. Aus dieser Szene ist Jesus im Lukasevangelium ein Wort in den Mund gelegt: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien (Lk.19,40).
Grabsteine, Gedenksteine, die Steine der Klagemauer, Kirchenmauern… sie erzählen eigene Geschichten… manchmal „schreien sie sogar gen Himmel“. Sie sind Zeugen von Not, Leid und Trauer, aber auch Zeugen der Erinnerung und Mahnung. „Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen.“ Sagte Sophie Scholl (1921-1943) während ihrer Vernehmung. Quelle: https://beruhmte-zitate.de/autoren/sophie-scholl Heute erinnern Denkmale, Straßenschilder oder auch Schulportale an ihre mutige Haltung im Nationalsozialismus.
Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien. (Lk.19,40) Dieser Vers ist der Monatsspruch für den März 2021. Passend zur Zeit: Menschen treibt es auf die Straßen – in Myanmar, in Russland, in China. Sie erheben ihre Stimme für die demokratischen Rechte, für Meinungsfreiheit und Mitbestimmung- für die Rechte der Unterdrückten; sie kämpfen für Oppositionelle, Demokratieaktivisten und die Meinungsfreiheit der Journalisten. Nicht wenige werden inhaftiert, es drohen ihnen Strafen und Prozesse. Mundtot sollen sie gemacht werden, Redeverbote werden ausgesprochen – schweigen sollen sie. Sie sollen davon abgehalten werden, ihre Meinung zu den Ungerechtigkeiten und Gräueltaten in den Ländern öffentlich zu machen. Welche Steine werden für sie schreien? Auch für die wenigen mutigen Frauen, die vor 100 Jahren das allgemeine Wahlrecht für Frauen erkämpft haben.
Können wir zu dem allen schweigen? Welche Steine werden dann schreien?
Ute Thalmann