Jesus macht viertausend Menschen satt (Mk.8,1-9)
1Zu dieser Zeit war wieder eine große Volksmenge bei Jesus zusammengekommen.
Da die Menschen nichts zu essen hatten,rief Jesus die Jünger zu sich.Er sagte zu ihnen:2»Die Volksmenge tut mir leid.Sie sind nun schon drei Tage bei mir und haben nichts zu essen.3Wenn ich sie hungrig nach Hause schicke,werden sie unterwegs zusammenbrechen –denn einige sind von weit her gekommen.«4Seine Jünger antworteten ihm: »Wo soll in dieser einsamen Gegend das Brot herkommen,um diese Leute satt zu machen?«5Und er fragte sie:»Wie viele Brote habt ihr?« Sie antworteten:»Sieben.«
6Und er forderte die Volksmenge auf,sich auf dem Boden niederzulassen.Dann nahm er die sieben Brote.Er dankte Gott, brach sie in Stückeund gab sie seinen Jüngern zum Verteilen.Und die Jünger teilten das Brot an die Volksmenge aus.7Sie hatten auch noch einige kleine Fische.Jesus sprach das Segensgebet über sieund ließ sie ebenfalls austeilen.8Die Menschen aßen und wurden satt.Danach sammelten sie die Reste und füllten damit sieben Körbe.9Es waren etwa viertausend Menschen.Jetzt schickte Jesus sie nach Hause.
Am 1. Sonntag im Oktober feiern wir das Erntedankfest! In diesem Jahr ganz besonders, da vieles ungewohnt, anders als gewöhnlich – als üblich ist.
Der Lockdown vom Frühjahr steckt vielleicht manchen noch in den Knochen – auch das gebotene Abstandhalten und die Maskenpflicht. Herausfordernd war und ist es. Es mag Menschen geben, die das als Zumutung oder gar als Beschneidung ihrer Rechte und Freiheiten ansehen- ich sehe es als ein Zeichen der Achtsamkeit – der Achtung gegenüber anderen – auch wenn es uns manchmal schwer fällt und wir es uns anders wünschen. Ich glaube, sich so zu begegnen ist immer noch besser als sich gar nicht begegnen zu dürfen und zu können.
Sie merken vielleicht – der Blick auf die Realität ist sehr unterschiedlich. Und so ist es auch mit der Ernte in diesem Jahr.
Nicht jeder nimmt wahr, dass die Kirche heuer besonders duftet- und es einen Augenschmaus gibt – ein Kunstwerk hier zu sehen ist… Für manchen sind es eben nur zusammengetragene Früchte.
Was für den einen
ein Fest für die Sinne ist – und das Herz berührt, lässt einen anderen nicht aufschauen.
Dass die vielen Früchte und Formen – jede einzigartig – einmalig- ein Geschenk sind, das wir wertschätzen können, will nicht jedem einleuchten.
Der Riesenkürbis – die filigranen kleinen Beeren an den Sträuchern, die bunten Blätter, die Ähren und ein großes Brot…
Lässt die einen staunen. Für die anderen ist es selbstverständlich.
Wir ernten noch mehr:
Nahrung und Kleidung, jedes Wachsen und Gedeihen –
all das, was wir – trotz Corona geschafft haben, was gelungen ist – nicht nur in Beruf und unserem Tun – nein auch in unseren Beziehungen, in der Partnerschaft und Familie.
Was haben Sie – Ihr für Leben – in diesem Jahr geerntet? Was hat Frucht getragen? Wo blieb der Ertrag vielleicht auch aus? Wofür möchte ich danken? Wofür will ich Gott danken?
Mag sein, dass einer für sich in diesem Jahr nur den negativen Ertrag sieht-– was nicht geworden ist, was ihm nicht gelingen konnte, was ausblieb – oder aufgrund der Situation ausgefallen ist.
Mit einem solchen Blickwinkel aber ist das Glas halb leer. Und ein unbefriedigendes Gefühl bleibt zurück. Da kann keine Dankbarkeit aufkommen und Freude erst recht nicht, dabei feiern wir heute ein freudiges Fest.
Die Geschichte, die von Jesus erzählt wird, will uns dafür die Augen öffnen und uns einen neuen Blick aufs Leben und Sein schaffen. Viele Menschen zusammengekommen waren, um ihn zu hören. Da sie nichts zu Essen hatten und hungrig waren, rief Jesus seine Freunde zu sich. Er offenbart ihnen, was er sieht: ihre Not. Sie tun ihm leid. Wenn er sie so wegschickt, werden sie unterwegs zusammenbrechen. Die Freunde reagieren aus ihrem Blick: Woher sollen wir Brot für so viele an dieser einsamen Gegend bekommen? Wir haben doch selber nichts! Sie schauen den Mangel an und beklagen ihn. Schwierige Situation! Ausweglos! Ohnmacht will sich breit machen – Ohnmacht, die bindet. Die Freunde fühlen sich hilflos, wie manch einer von uns, wenn er auf die neusten Entwicklungen in der Corona- Pandemie sieht. Das tritt das Fehlende hervor, der Mangel- was wir gerne hätten und täten, ja was manch einer gerne wäre, aber nicht ist. Auch das Perfekte, was es nicht gibt.
Aussichtslos – wir können ja eh nichts machen! Menschen fühlen sich ausgeliefert. Das mag alles sein, aber gibt es nicht noch einen anderen Blick aufs Leben? Einen, mit dem es sich leichter, besser – und vor allem zufriedener und dankbarer leben lässt?
Jesus wagt diesen und zeigt ihn: Er schaut auf das, was da ist – was möglich ist- Wieviel Brote habt ihr?
Da steht nicht das Defizit vor Augen, sondern das, was es tatsächlich gibt: Gaben, Fähigkeiten… (und sei es noch so wenig).
Mitunter neigen allerdings Menschen dazu – das klein zu machen- oder überhaupt nicht in Augenschein zu nehmen. Jesus legt offen, was vorhanden ist:
Wir haben doch nicht nichts! Im Gegenteil! Wir sind doch nicht nichts.
Auf die resignative Frage: Was können wir denn schon tun – antwortet er – den Blick wechseln und den ersten Schritt wagen. Und dabei ist es egal, ob er nun groß oder klein ist. Die Freunde tun es – sammeln das vorhandene (Brot) und geben es weiter: sieben Brote und ein paar Fische. Sieben ist eine besondere Zahl- sie beschreibt die Fülle, (7 Tage hat die Woche, 7 Planeten, 7 Sinne…): es ist ausreichend – genug für alle. Dieses Potential wird aufgedeckt und abgerufen. So viel ist da und möglich. Vielleicht ist solcher Blickwechsel auch uns in schwieriger Zeit eine Hilfe, statt beim Klagen und dem Gefühl der Ohnmacht und Vergeblichkeit stehen zu bleiben. Eine Bestandsaufnahme der Gaben und Fähigkeiten – der Ressourcen: Soviel ist möglich – so viel ist da – viel mehr als du denkst und vielleicht gerade im Blick hattest. Und plötzlich wird das Glas halbvoll! Ja und manchmal hilft es mir, mit dem Herzen auf eine Situation zu schauen. Auch das schenkt mir neue Einsichten und mobilisiert Kräfte und Möglichkeiten. Dein Leben ist doch nicht leer. Selbst, wenn du meinst, deine „Ernte“ sei in diesem Jahr spärlicher ausgefallen. Geh durch die Reihen deiner Tage und sammle, was da ist: Glück und Sonnenstrahlen, Vogelsang und Kinderlachen, Begegnungen, ein Lächeln, unverhofftes Wiedersehen, Waldluft und eine warme Vollmondnacht, ein berührendes Konzert- ein Buch, was dich in den Bann zog…. Da gibt es vieles, was dir geschenkt wurde, was du dankbar und staunend erfahren hast oder dir gelungen ist.
Jesus lässt die Menschen sich auf den Boden setzen. Was den Freunden die Sicht nach vorn und auf die eigenen Möglichkeiten verstellt hat, löst sich auf. Sie bekommen einen Überblick. Und wo man etwas überblickt, oder sich informiert, erkundigt und nachfragt, verliert sich die Angst. Die Ausgangslage bleibt vielleicht – aber sie lähmt nicht mehr. Auch das haben wir in den zurückliegenden Monaten erfahren.
Und so wird aus der unüberschaubaren Mange eine benennbare Größe: 4000 Menschen. Die vorhandenen Gaben sind begrenzt – die vorhandenen Brote übersichtlich – aber sie sind als Potential sichtbar.
Dieses und jenes war und ist zu tun. Vorkehrungen können schützen…und wir haben erfahren, dass trotz Lockdown etwas möglich ist: Ideen wurden geboren, mit Gaben und Möglichkeiten umgegangen. Es gab Hilfe und Unterstützung, manches wurde geteilt. Und viele wurden „satt“. Auch solche, die von weit her kamen…
Ich bekam Anrufe für die „Hoffnungsbriefe“ aus anderen Kirchenkreisen und Gemeinden, ja selbst von Leuten, die nicht zur Kirchengemeinde gehören. Die ökumenische Internetseite hatte so viele Aufrufe, wie es im ganzen Jahr nicht Gottesdienstbesucher gibt, Konzerte waren möglich – auch auf Abstand… die Kinder konnten sich wieder treffen … es gab Andachten im Freien … oder auch im Netz. Es ist trotz Corona und den Einschränkungen genug da in unserem Land und in unserem Leben. Gaben und Möglichkeiten, die wir miteinander teilen können.
Jesus nimmt die Brote und die Fische, dankt und spricht den Segen – und dann werden sie verteilt. Und es geschieht, worauf die Menschen (mit Geduld und langem Atem) gewartet haben: ihr Hunger wird gestillt. Und sie gehen satt an Leib und Seele und mit der Gewissheit: es reicht – auch für den weiteren Weg. Auch für uns in diesem besonderen Jahr. Ein Grund, Gott für das zu danken, was uns anvertraut und geschenkt wurde und dies miteinander zu teilen.
Ute Thalmann