von Ute Thalmann, Pastorin, Krölpa
Vor Jahren lernte ich auf einer Weiterbildung einen Menschen aus der Verwaltung kennen. Eines Tages brachte er zu einem Seminar viele von seinen Fotos. „Du bist begnadet!“ – sagte ich ihm, nachdem ich die wundervollen Fotos betrachtete, die er in seiner Freizeit einfach so schoss. Er war weder Fotograf, noch hatte er einen Fotokurs besucht. Aber er hatte einen Blick für bemerkenswerte Kleinigkeiten, für Stimmungen und Ansichten. Und er zeigte uns, wie er damit in Gruppen arbeitete. Noch eine weitere Gabe besaß er: wunderbar am Klavier zu improvisieren. Diese Talente brachte er in unsere Ausbildungsgruppe ein und schenkte uns dadurch Lebendigkeit und Freude. Ohne Nachzudenken oder es sich bewusst zu machen, setzte er um, wozu der Apostel im 1. Petrusbrief seine Glaubensgeschwister aufruft und was uns als Spruch in den Monat Mai begleitet:
Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat! (1.Petrus 4,10)
Menschen setzen ihre Gaben und Talente ein, behalten sie nicht für sich und schauen auch nicht auf den eigenen Vorteil. Andere werden mitgerissen, überrascht und erfreut, ihr Blickwinkel weitet sich. Gnade ist das! Nicht alltäglich – und auch nicht selbstverständlich! Gnade ist ein Geschenk. Sie bewirkt, dass sich Beziehungen entwickeln. Und noch mehr: Gottes Gnade schenkt Leben, Lebendigkeit und Hoffnung. Dort, wo Menschen das, was ihnen anvertraut und gegeben ist, nicht nur für sich einsetzen und weiter verschenken, wirkt es weiter, überwindet es Grenzen und führt Menschen zueinander. Wir spüren das in diesen Wochen ganz besonders. Angefangen mit Gesang von Balkonen, mit Applaus aus den Fenstern, bis hin zu Videobotschaften und Auftritten ganzer Orchester von zu Hause aus. Menschen entwickeln überall auf dieser Erde viel Fantasie und Kreativität, um mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie umzugehen. Da lernt eine Schülerin Masken zu nähen – nicht nur in schwarz- weiß, nein mit lustigen Mustern, die beim Betrachten – und auch beim Begegnen ein Strahlen in die Augen zaubern. Andere erstellen Apps, die helfen, sich zu orientieren, machen Einkaufsangebote für Menschen, die nicht aus dem Haus können, die Nachbarschaftshilfe blüht. Ein Musikschullehrer hat einen kostenlosen Online- Kurs für Ukulele geschaltet, für den sich nicht nur Menschen aus der Region, sondern der ganzen Welt begeistern, mit dem Ziel, ein gemeinsames Konzert zu veranstalten. Da wird vorgelesen oder gebastelt. Andere schreiben Theaterstücke und zeigen sie im Netz. Briefe gegen Einsamkeit werden geschrieben oder Hoffnungstüten verteilt. Menschen denken sich Überraschungen aus, um andere – auch völlig Unbekannte zu erfreuen. Da kommen Gaben zum Vorschein, die lange vergessen waren. Da helfen sie anderen über diese schwierige Zeit. Da kommen sich Menschen auf Abstand nahe, da werden sie berührt im Herzen. Ich sehe darin, was der Apostel vor Jahrhunderten Christen aus einer Gemeinde weiter geben wollte: als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes zu wirken, indem sie ihre Gaben und Talente entdecken, pflegen und für andere einsetzen. Es geschieht, nicht nur bei Christen, viele Menschen wagen es, sie nutzen die Zeit, die es im Moment gibt. Und das hat Wirkung – sie haben Freude daran, entdecken Sinn in ihrem Tun und helfen so anderen einen neuen Blick und vielleicht ein wenig Hoffnung für ihre Situation zu finden. Ist das nicht Gnade! Kann sein, dass so einer dem anderen zum „Engel“ wird.
(Foto: privat U. Thalmann)
Etwas, was wir vielleicht ein wenig mehr pflegen und schätzen können, auch dann, wenn wir die jetzige schwierige Situation überwunden haben werden. Denn ein guter Verwalter wird schließlich das, was sich als positiv, zukunftsweisend und hoffnungsvoll erwiesen hat, nicht wieder vergraben, sondern es nutzen und weiter einsetzen zum Wohl und zur Freude aller. Die kommenden Wochen im Mai bieten Gelegenheit dazu. In diesem Sinne wünsche ich allen einen „begnadeten“ Mai!
Ute Thalmann