Text: Kolosserbrief 3, 12 (Lehrtext zum 17. 9.
2022)
Der Apostel schreibt: So zieht nun an als die
Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Ge-
liebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit,
Demut, Sanftmut, Geduld.


Gedanken zum Text:
Das sind freundliche, einladende Worte aus
dem Kolosserbrief, ohne Zweifel. Haben wir
ein Ohr für sie, wo wir doch gerade bereits da-
mit beschäftigt sind, uns warm anzuziehen?
Denn schließlich steht der Krisenherbst vor der
Tür, vor dem wir alle zittern – obwohl ganz
nüchtern betrachtet keiner genau weiß, wie dra-
matisch er wirklich werden wird. Die sorgen-
volle Aufregung und die Verunsicherung sind
jedenfalls groß. Wie gesagt, wir sind bereits da-
bei, uns mit geeigneten Kleidungsstücken
warm anzuziehen – im wörtlichen wie im über-
tragenen Sinn. Ich bin mir ziemlich sicher: Zu
dieser „geeigneten“ Kleidung zählen wohl nur
sehr wenige das, was uns der Verfasser des Ko-
losserbriefes empfiehlt: „herzliches Erbarmen,
Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld.“
Viel näher scheint doch genau das Gegenteil zu
liegen. Denn wer sich „warm anziehen“ muss,
verengt seinen Blick. Der möchte sich selbst
schützen, abschotten und die schwierige Zeit
überstehen – also zuerst unbedingt für sich sel-
ber sorgen. Nach innen schön warm, nach au-
ßen wird es immer kälter – so empfinden und
beklagen es nicht wenige Menschen schon seit
geraumer Zeit. Folgen wir der Empfehlung des
Apostels, uns „herzliches Erbarmen, Freund-
lichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld“ „anzuzie-
hen“, könnten wir Erstaunliches erleben: Da
würde es nicht nur uns selbst warm, sondern
die Wärme würde ausstrahlen in das Zusam-
menleben. Allerdings: Wer diese Kleidung
trägt, der hat es nicht leichter. Der braucht ein
gesundes Selbstbewusstsein, ein starkes, ver-
lässliches Fundament. Der muss wissen, wo er
hingehört, dass er geliebt ist und angenommen.
Wie sagt es der Schreiber des Kolosserbriefes
so treffend: „So zieht nun an als die Auser-
wählten Gottes, als die Heiligen und Gelieb-
ten…“ Damit sind wir gemeint, die wir als
Christen in unserer Zeit leben, auch wenn uns
diese Anrede etwas zu groß geraten vorkom-
men mag. Sie gibt uns Halt und macht uns
Mut, unseren Weg mit Gott zu gehen in einer
Weise, die für alle stärkende Erfahrungen er-
möglicht – durch „herzliches Erbarmen,
Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld.“

Eisberg - Naturgewalten

Gedanken zum Bild:
Wenn wir von „Naturgewalten“ sprechen, dann
haben wir meist Katastrophen im Blick wie
Erdbeben, Überflutungen oder Vulkanausbrü-
che oder häufiger noch verheerende Stürme,
die in kurzer Zeit gewaltige Zerstörungen an-
richten. An eine „stille“ Naturgewalt, die noch
viel größere Kräfte besitzt, denken wir eher sel-
ten: Die Gletscher und Eisströme, die riesige
Gebiete unseres Planeten formen – allerdings
über unvorstellbar lange Zeit. Nur in den letz-
ten Jahren wurde das etwas anders, als sich die
Meldungen vom dramatischen Abschmelzen
der Gletscher bis in den Fokus der Medien
schieben konnten. Doch das ist längst schon
wieder vergessen. Überhaupt: Wer kann sich
schon Zeiträume von hunderttausenden oder
gar Millionen Jahren wirklich vorstellen? Ab-
gesehen vom Können: Wer wollte das schon?
Denn ehrlich: Würden wir uns angesichts die-
ser Dimensionen im Vergleich zu unserer kurz-
en Lebenszeit nicht winzig und unbedeutend
fühlen? Das wäre doch sehr ernüchternd. Au-
ßerdem: Wir haben es nicht so mit der Lang-
samkeit. Bei uns muss alles schnell gehen und
gern auch alles auf einmal. Dass es auch anders
geht, haben wir schon fast vergessen. Klar, dass
das Wort „Muße“ schon fast niemand mehr
versteht. Die Alten haben noch gesagt: „Gut
Ding will Weile haben.“ Nein, das passt nicht
zu unserem Tempo und unseren Ansprüchen
von „bitte sehr und bitte gleich!“, an denen wir
alle und alles messen, auch die Verantwor-
tungsträger im Land. Ein Problem, egal wie
komplex – sofort muss die perfekte Lösung her.
Dass dieser Anspruch nicht erfüllbar ist, müss-
ten eigentlich alle Menschen mit ein bisschen
Lebenserfahrung wissen. Wirklich gute Lösun-
gen brauchen ihre Zeit. Da kann uns die Natur
auch eine Lehrmeisterin sein, auch am Beispiel
der „stillen“ und „langsamen“ Gletscher.