(Kath.) Predigt von Diakon Mathias Kugler
Saalfeld/Rudolstadt

Palmsonntag – In den Gottesdiensten, die wir in diesem Jahr nur digital, über Funk und Fernsehen oder selbst zuhause feiern können, hören wir jedes Jahr ein langes Stück aus einem der synoptischen Evangelien, in diesem Jahr aus dem Matthäus-Evangelium. Genauer: Wir hören „Das Leiden unseres Herrn Jesus Christus nach Matthäus”.

Merken Sie, wie das schon klingt? Wir hören das Leiden…

Wer macht so etwas schon freiwillig? Wer setzt sich, so wie wir am Palmsonntag, minutenlang hin, um das Leiden eines Anderen anzuhören?

Es gäbe durchaus viel Leid, das wir hören könnten; gerade jetzt in der Corona-Krise: Wie viele sind schon erkrankt und wie viele müssen um ihre Gesundheit bangen! Wie viele leiden schon jetzt an den wirtschaftlichen Folgen! Wie viele Menschen, gerade in den Pflegeheimen und Krankenhäusern, leiden unter Einsamkeit, leiden darunter, dass sie nicht besucht werden können?

Aber auch unabhängig von der gegenwärtigen Krise gäbe es das ganze Jahr über viel Leid zu hören: Da ist vielleicht die ältere Dame aus der Nachbarschaft, die über die Schmerzen nach einer Operation klagt.

Da ist der junge Mann, der zugegebenermaßen ein bisschen seltsam ist und darunter leidet, dass seine Arbeitskollegen ihre Späße mit ihm treiben und ihn mobben.

Da ist die Mutter, die sich traut anzusprechen, dass sie eine stille Geburt hatte und dass sie voller Trauer ist über ihr Kind, das sie verloren hat.

Wer hört ihnen gerne zu? Wer hält das beklemmende Gefühl aus, das einen überkommt, wenn man sich ihrem Leiden aussetzt?

Es ist nicht leicht, sich mit dem Leid anderer konfrontieren zu lassen. Viel lieber steht man doch auf der Sonnenseite des Lebens, jubelt seinen Stars zu, lässt sich mitziehen und hofft, das etwas von ihrem Glanz auf einen selbst abfällt.

Schauen wir zurück auf die Leidensgeschichte Jesu: Wie viele von denen, die ihm am Palmsonntag zugejubelt haben, schauen und hören sich wohl sein Leiden am Karfreitag an? Oder, noch schlimmer: Wie viele der bei seinem Einzug in Jerusalem noch jubilierenden Schaulustigen stehen dann vielleicht sogar am Rand und sagen: „Recht geschieht ihm!“ – einfach, um zur Mehrheit zu gehören?

Er, Gottes Sohn, hatte sich selbst viele Leidensgeschichten angehört. Die Menschen sind in Scharen zu ihm geströmt. Sie haben ihn mit ihren Leiden konfrontiert und waren voller Hoffnung auf Heilung.

Schon da hat er Mitleid gezeigt; nun leidet er selbst. Wer leidet nun mit ihm mit?

Das Leid gehört zum Leben dazu. Jesus gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Warum. Aber er gibt doch eine Antwort auf das Leiden selbst: Sie heißt Mit-Leid. Er leidet selbst. Er leidet mit allen Menschen, die leiden müssen. Er hört ihr Leiden. Im Leiden ist er da.

Auch wir tun gut daran, nicht nur an Palmsonntag und Karfreitag das Leiden zu hören. Es mag uns einiges an Überwindung kosten, uns den Leidensgeschichten unserer Mitmenschen aussetzen.

Dennoch: In ihnen werden wir Christus begegnen.