(Foto: U. Thalmann, privat)

An einem Sommertag kam er bei uns vorbei: mit einem Fahrrad an dem das hing, was er zum Leben brauchte: in Plastikbeuteln etwas zu Essen und zum Trinken, in den Satteltaschen ein paar Habseligkeiten. Schon von weitem sah ich, dass er lange schon unterwegs war- ein Obdachloser, ein „Penner“ würde mancher abwertend sagen. Auch ich war auf den ersten Blick skeptisch. Er suchte ein Nachtquartier. Da es zu regnen begann, tat er mir leid und ich ließ ihn ein… . Anfangs sprachen wir wenig, aber meine Skepsis wich, als er seine Geschichte erzählte. Er öffnete sein Herz – und ich tat es auch. Es stellte sich heraus, dass er sehr belesen war und es entwickelten sich gute Gespräche, das Vertrauen wuchs. Noch ein paar Mal kam er im Sommer vorbei, ja wir hielten schon Ausschau nach dem Rad, wenn die Tage länger wurden…

Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Ein geflügeltes Wort des französischen Dichters Antoine de Saint –Exupery (1900-1944) kam mir in den Sinn. Nach dem Äußeren – nach dem ersten Anschein allein kann man einen Menschen nicht beurteilen. Das Herz ist wichtig, um jemanden wahrzunehmen.

Das Herz wird als die Lebensquelle unseres Körpers gesehen und damit ist noch weit mehr verbunden, als dass es ein enorm leistungsfähiger Muskel ist, der das Blut durch unseren Körper transportiert. Es ist Zentrum – Mitte unseres Seins und offenbart unsere Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche, zeigt aber auch unsere Verletzungen. Das Herz steht für unser innerstes Wesen. Hier werden unsere Gedanken, unsere Gaben bestimmt, begleitet und inspiriert, manchmal aber auch abgebremst oder gar zum Erstarren gebracht. Vom Herzen sagen wir „es geht in Sprüngen“- wenn wir aufgeregt und in freudiger Erwartung sind – und wenn uns etwas betroffen und mitfühlend macht, dann „geht es uns zu Herzen“. Manches Problem kann auch das „Herz schwer machen“. Das Herz zeigt etwas vom Wesen, vom Charakter – ja auch vom Gewordensein eines Menschen. Das Märchen „ Das kalte Herz“ setzt das beeindruckend ins Bild. Was mag wohl alles Grund dafür sein, dass Herzen „versteinern“?

Manchmal wissen wir nicht, was uns bewegt, sind vielleicht erschrocken, wenn sich in uns Gefühle wie Wut und Rache offenbaren oder staunen, wenn plötzlich Freude unsere Gedanken durchzieht. Nicht immer vertraue ich meinem Herzen- mitunter übergehe ich es – nehme nicht wahr, was es mir zeigen und sagen will. Die Bibel spricht davon, dass Gott es kennt.- So der Monatsspruch für den Juni:

Du allein kennst das Herz aller Menschenkinder. (1.Könige 8,39)

König Salomo sind diese Worte in den Mund gelegt als Gebet bei der Einweihung des Tempels in Jerusalem, des wichtigsten Heiligtums. Er bittet für alle, die im Tempel eintreten und auch diejenigen, die hier ihren Dienst tun. Menschen mit Gaben und Fehlern, Menschen, die schuldig geworden sind und Vergebung suchen, Menschen, die Großes vermögen. Salomo weiß, dass Menschen im Äußeren täuschen können und dass sie beurteilt werden. Nicht immer geschieht das aufrichtig. Gott aber kennt – und davon ist Salomo überzeugt – das Herz jedes Menschen. Er weiß um alles, was es bewegt. Er nimmt mich wahr und an mit allem, was in mir wirkt- egal ob es nun gerade lebendig oder erstarrt ist, voll Vertrauen oder mit Angst und Misstrauen erfüllt. Er weiß, was in uns steckt und uns bewegt, nimmt unsere Stärken und Schwächen an. Um ein weiser und gerechter König für sein Volk zu sein, bittet Salomo um ein Herz, das auf Gottes Weisungen achtet und entsprechende Entscheidungen treffen kann, das im Einklang mit Gottes Güte und seiner Wahrheit ist- ein lebendiges weises Herz. Das ist Gottes Wunsch für jeden Menschen: ein aufrichtiges, offenes und liebendes Herz zu entfalten, damit das Miteinander gelingt und nicht in Oberflächlichkeit und Äußerlichkeiten stecken bleibt. Daran erinnert uns der Spruch des Monats.

Über das Herz

(Tina Willms- Im Glauben: Zweifel – Im Zweifel: Glauben)

Das Herz ist ein bewegliches Wesen,

manchmal schlägt es bis zum Hals,

manchmal rutscht es in die Hose.

Es gibt Menschen, die es auf der Zunge tragen.

Andere nehmen es in die Hand.

Das Herz ist ein erstaunliches Organ,

man kann es verschenken

und wird dabei nicht arm, sondern reich.

Das Herz ist ein wundersamer Ort,

ja, wohl der einzige, an dem man jemanden

einschließen kann, ohne ihn einzusperren.

Segenswunsch an mein Herz

(diess. in: Im Glauben: Zweifel- Im Zweifel: Glauben)

Ich wünsche dir,

dass du das Leben willkommen heißt

und dich ihm öffnest in allen seinen Spielarten:

Glück und Schmerz,

Freude und Trauer,

Aufregung und Stille.

Dass du weit bleibst,

wünsche ich dir,

damit viele Menschen

einen Platz in dir haben

und sich willkommen fühlen

bei dir.

Dass die Gefahren für ein Herz

Abgewendet bleiben von dir,

wünsche ich dir,

dass du niemals verhärtest,

eng wirst

oder gar versteinerst.

Ich wünsche dir,

dass du lebendig bleibst

und pulsierend und pochend

erzählst von ihm,

der in dir

klopft und klopft

an die Tür des Lebens.