6. Station: Willkür und Grenzen

Text: Matthäus 5,4 (Lehrtext der Herrnhuter Losungen zum Palmsonntag)

Jesus spricht: Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Gedanken zum Text

„Alles muss seine Grenzen haben!“, sagen wir, wenn uns Belastungen auf Arbeit oder in welchen Zusammenhängen auch immer zugemutet werden. Denn grenzenlos belastbar ist niemand. Gut, wenn man sich wehren kann. Jesus konnte sich nicht wehren. ER war der Willkür der Folterknechte und Soldaten des Pontius Pilatus schon seit Stunden ausgeliefert, die nur eine Grenze kannte: Sie töteten IHN nicht. Sterben würde ER wie alle Gekreuzigten von ganz allein an den Folgen der Folter. Aber bis es soweit war, konnte doch noch eine Grenze fallen: Sie konnten Jesus des letzten Restes SEINER Würde berauben, indem sie die Scham – Grenze niederrissen. Als ER endlich ankam am Ort der Hinrichtung, rissen sie IHM alle Kleider vom Leib, so wie bei allen zum Tod am Kreuz Verurteilten üblich. Das ist im wahrsten Sinn des Wortes „öffentliche Bloß – Stellung“, die schlimmste Erniedrigung, die einem Menschen von anderen angetan werden kann. Die Römer machten daraus eine Show, die zeigen sollte: Seht her, so ergeht es allen, die die Macht des Imperiums angreifen – aufständischen Sklaven ebenso wie Freiheitskämpfern aus den unterdrückten Völkern. Jesus erging es so. ER bekam die volle Wucht der römischen Gewaltherrschaft zu spüren, war ihr wehrlos ausgeliefert. Wo war da Trost, wo war da Hoffnung? Es sollte noch eine geraume Weile dauern, bis SEINE Jünger nach und nach erkannten: Wenn Jesus den Weg des Leidens ging, dann ist ER allen Gequälten, Erniedrigten und Bloßgestellten dieser Welt nahe. Mehr noch: ER steht auf ihrer Seite, geht mit ihnen die schlimmsten Wege. Sie liegen IHM am Herzen. Nichts anderes bedeutet „selig sein“ in SEINER Verheißung aus der Bergpredigt. Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. SEIN Herz ist so groß, dass in IHM die Platz finden, die unter anderen Menschen zu leiden haben und ebenso die, deren Leid ganz andere Ursachen hat. Auch sie können Trost finden in IHM. Damit setzt ER dem Leid die Grenze, die keine menschliche Willkür niederreißen kann.

Gedanken zum Bild:

Unsere Kleidung ist mehr als ein bisschen Stoff. Sie erfüllt viele Funktionen gleichzeitig: Seit grauer Vorzeit schützt sie vor Kälte und Witterung, ist praktisch beim Arbeiten wie dieses Hemd, kennzeichnet Menschen mit bestimmten Berufen, zeigt die Zugehörigkeit zu bestimmten Subkulturen oder bringt Schönheit und Würde ihrer Trägerin oder Trägers zum Ausdruck. „Kleider machen Leute“, sagt der Volksmund – und da ist etwas dran, in mehrerer Hinsicht. Das beginnt beim berühmten „ersten Eindruck“, den wir von einem Menschen haben, der durch seine Kleidung maßgeblich mitbestimmt wird und hört bei „shitstorms“ in den „sozialen Medien“ über die „Klamotten“ von Mitschülern nicht auf. Solche Erfahrungen verletzen die Betroffenen tief, weil sie eine öffentliche Bloßstellung sind. Neben solch einer brutalen Möglichkeit gibt es noch viele andere, jemanden bloßzustellen: Den Betroffenen so lange und immer wieder „dumm zu machen“, zu sticheln, zu provozieren, bis er „austickt“ und erst recht verspottet und verhöhnt werden kann. Oder ganz anders: Jemanden ständig zu bevormunden, am liebsten vor anderen, stellt den Betroffenen ebenso bloß als unfähige Person. Natürlich gibt es noch ungezählte weitere Möglichkeiten. Was Jesus erdulden musste, wirft auch für uns Fragen auf: Wie gehen wir miteinander um? Wie halten wir es mit dem Respekt voreinander? Wie und wodurch treten wir uns zu nahe? Was sagen oder tun wir, wenn wir miterleben, dass jemand „übergriffig“ redet oder handelt, wie es neudeutsch heißt? Sind wir beteiligt, halten uns raus oder mischen uns ein? Auf welcher Seite stehen wir? Was würden wir uns wünschen, wenn mit uns so etwas geschehen würde? Für Jesus traute sich damals niemand Partei zu ergreifen. Das wäre das eigene sichere Todesurteil gewesen. Gott sei Dank leben wir heute in einer anderen Gesellschaft.

Gebet:

HERR, unser Gott, wir danken DIR, dass DU uns im Leidensweg Jesu erkennen lässt: DU stehst auf der Seite der Leidenden, der Opfer von Gewalt jeglicher Form. DU gehst mit ihnen und setzt dem Leid die Grenze, die keine menschliche Willkür niederreißen kann.

Barmherziger Gott, hilf DU uns, aufmerksam und einfühlsam die Würde und Schutzbedürftigkeit unserer Mitmenschen wahrzunehmen und zu achten. Denn nicht immer sind unsere Worte bedacht und unsere Handlungen überlegt.

HERR, unser Gott, mache uns auch im Alltag bewusst, dass Frieden und Gerechtigkeit durch uns und bei uns beginnen und wachsen können, durch das, was wir sagen, wie wir handeln, was wir tun und lassen.

Barmherziger Gott, schenke uns den Mut, wie DU auf der Seite der Opfer zu stehen und ihnen nach unseren Möglichkeiten zu helfen mit unseren Worten und Taten und sie DEINER Liebe ans Herz zu legen.

HERR, unser Gott, wir bitten DICH für uns selbst, wenn wir bloßgestellt werden und uns nicht wehren können, dann mach andere Menschen bereit, uns beizustehen.

Barmherziger Gott, an DEIN Herz legen wir alle, die in diesen Tagen ganz besonders DEINES Trostes bedürfen: die unzählbar vielen Opfer der Kriege dieser Welt, der offenen und versteckten Gewalt und der Naturkatastrophen. Stärke alle, die Wege zum Frieden zwischen den Völkern suchen.

HERR, unser Gott, wir bitten DICH, bring Frieden in unser Reden und Handeln, segne die Schweigenden. Den Verlorenen, den Verbitterten, den Einsamen sei nahe mit DEINER Liebe. Reiche den Sterbenden DEINE väterliche Hand und führe sie in DEINE Ewigkeit.

Erbarmender Gott, erhöre uns. Amen.