Vorwort:

Angesichts der Ereignisse, die unser gewohntes Leben seit mehr als zwei Jahren in immer stärkerer Weise erschüttern, drängt sich für Glaubende immer deutlicher die Frage nach Gott auf. Ich lade Sie und Euch ein, in den Andachten zu den Sonntagen der Passionszeit gemeinsam eine Antwort zu suchen, indem wir den Leidensweg Christi bedenken. Dazu habe ich eine freie Form des Kreuzweges mit eigenen „Stationen“ gewählt, in denen sich vieles aus unserem Erleben spiegelt.

1. Station: Verrat und Versuchung

Text: Johannes 13, 27 b und 30 (Aus dem Evangelium des Sonntags)

Jesus sagte zu Judas: Tu das, was du vorhast, bald!…Als Judas das Brot gegessen hatte, ging er sofort hinaus. Es war Nacht.

Gedanken zum Text

Wie konnte es nur so weit kommen? Im Gegensatz zu unserer Situation heute scheint es im Fall des Leidensweges Jesu eine ganz klare und einfache Antwort auf diese Frage zu geben: Judas ist schuld! Sein Verrat aus reiner Geldgier führte zur Festnahme Jesu und dann war die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. So wurde es lange Zeit in der kirchlichen Tradition gesehen. Ein Verräter bricht das Vertrauen. Er will ganz bewusst Schaden anrichten oder nimmt diesen zumindest in Kauf, um dadurch Vorteile für sich selbst zu verschaffen – „Prämien“, Verdienstmedaillen oder eine „Westreise“ zum Beispiel, um an die jüngere Geschichte zu erinnern. In diesem Sinne war Judas ganz bestimmt kein Verräter. Er wollte Jesus in keiner Weise schaden, sondern durch sein Handeln genau das Gegenteil bewirken: Er wollte Jesus drängen, SEINE Macht endlich zu zeigen, die Römer mit göttlicher Kraft aus dem Land zu fegen und das Gottesreich zu errichten. Darin bestand seine Schuld: Sich anzumaßen, Gottes Wirken nach den eigenen Vorstellungen zu „lenken“. Mit dieser Schuld steht Judas nicht allein da. Immer wieder erliegen Menschen dieser Versuchung – mit katastrophalen Folgen. „Mit Gott für Kaiser und Vaterland“ hieß es vor gut 100 Jahren und die „alte“ Welt ging unter im ersten Weltkrieg. Heute werden Putins Waffen gesegnet. Wie konnte es nur so weit kommen? Was tut Gott? ER muss doch endlich mal…Hoppla, Judas lässt grüßen. Jesus lässt ihn gewähren. Mehr noch, ER bringt ihn auf Trab, mitten in der Nacht, weil ER weiß: Auch mit dem, der Gott nach seinen Vorstellungen „lenken“ will oder gar nichts von IHM hält, schreibt Gott SEINE Geschichte mit uns Menschen weiter, durch alle dunklen Nächte und Katastrophen hindurch. Darauf hat ER uns SEIN Wort gegeben.

Gedanken zum Bild:

Schon mit SEINER Verhaftung stand das Todesurteil Jesu fest. Solch einen Aufwand, wie die Evangelien es beschreiben, hätte der für seine Grausamkeit gefürchtete Pilatus nie betrieben, um einen „gefährlichen Aufrührer“ wie Jesus ans Kreuz zu bringen, der in seinem Volk beliebt war. Er senkte nur den Daumen und seine Söldner und Folterknechte wussten, was sie zu tun hatten. Sie schlugen zu, nicht nur körperlich. Auch Verhöhnung und Spott sind Folter. Sie pressen Jesus eine „Krone“ aus Dornenzweigen auf den Kopf – entwürdigend anzusehen und äußerst schmerzhaft, dazu ihr höhnisches Lachen und ihre Worte, spitz wie Dornen. Auch Worte können durch und durch gehen, tiefe Wunden reißen, die immer wieder aufbrechen oder entstellende Narben in der Seele hinterlassen. Dabei ist es für den, der sie hören muss, weniger von Belang, ob sie unüberlegt und leichtsinnig daher gesagt wurden oder mit voller Absicht, „hintenrum“ oder direkt ins Gesicht. Jesus ertrug die Dornenfolter der „Krone“ und der erniedrigenden und verletzenden Worte. ER ist bei allen, die dem Hohn und dem Spott von wem auch immer wehrlos ausgeliefert sind, steht zu ihnen in ihrer Seelennot. Diese Gewissheit schenkt Mut und Kraft und schärft gleichzeitig den Blick auf die eigenen Worte, am besten bevor sie aus dem Mund kommen. Denn gesagt ist gesagt – und niemand hat selber Bedarf, die „Dornen“ der anderen zu spüren.

Gebet:

Barmherziger Gott, DU nimmst uns an, so wie wir sind. DU schenkst uns Möglichkeiten und Gaben und hilfst uns, unsere Schwächen und Fehlern zu erkennen und zu akzeptieren. Dafür danken wir DIR.

HERR, unser Gott, bewahre uns vor schnellen Urteilen über unsre Mitmenschen und Selbstgerechtigkeit, schenke uns Bescheidenheit und Einsicht und Mitgefühl, damit das Zusammenleben gelingen kann.

Barmherziger Gott, vergib, wenn wir in einfaches Schwarz – Weiß – Denken zurückfallen und wandle uns durch DEINE Liebe. Stärke unseren Mut, auf unsere Nächsten mit Offenheit und Unvoreingenommenheit zuzugehen.

HERR, unser Gott, wir bitten um DEINEN vergebenden Geist, der Enttäuschungen ertragen kann und immer geduldig bleibt, der tröstet und aufrichtet, wenn uns die Worte fehlen, der heilt und befreit, wo wir aneinander schuldig werden.

Barmherziger Gott, sei gnädig allen, die Macht ausüben auf unserer Erde. Erhelle ihren Verstand und lass sie ihre Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit erkennen und endlich schritte unternehmen, Gewalt und Kriege zu beenden.

HERR, unser Gott, wir bitten DICH, bring Frieden in unser Reden und Handeln, segne die Schweigenden, schenke Zuversicht den Ratlosen und den Verlorenen, den Verbitterten, den Einsamen sei nahe mit DEINER Liebe.

Barmherziger Gott, wir bitten DICH um Worte der Vergebung für alle, die schuldig wurden. Wehre dem Bösen und wandle in Segen, was wir verderben. Hilf, dass alle DEINE Güte erkennen, besonders die, die zu tragen haben an uns oder ihrem Schicksal. Reiche den Sterbenden DEINE väterliche Hand und führe sie in DEINE Ewigkeit.

Erbarmender Gott, erhöre uns.

Amen.