Wir sind mitten drin im Winter. Der erste Schnee hat sich wie eine Decke über Bäume, Pflanzen und Boden gelegt. Die Natur ruht. Sie sammelt Kräfte für das kommende Frühjahr. Manche Äcker liegen brach. Sie sind umgepflügt – aber unbebaut. Erholen soll sich der Boden. Brachliegen hat für den einen oder anderen auch einen negativen Klang. Was brach liegt, ist nutzlos, muss erst wieder aktiviert werden. Aber das ist ein Irrtum: unzählige kleine Lebewesen und Mikroorganismen sind emsig bei der Arbeit. Sie zerkleinern und zersetzen Rückstände und bilden so leicht lösbare Grundnahrungsstoffe für die künftigen jungen Pflanzen.
Auch Menschen brauchen „Brachzeiten“- Zeiten der Ruhe, der Regeneration, Zeiten zum Atem holen und Kraft schöpfen. Es gibt Menschen in der gegenwärtigen Zeit der Corona- Pandemie mit ihren Einschränkungen solch eine Brachzeit. Es gibt wenig Ablenkung. Der Alltag ist für manchen verlangsamt. Wir sind in gewisser Weise auf uns selbst zurückgeworfen. Oft stellen sich dabei auch Unruhe, Zweifel, Angst und Unsicherheit, Einsamkeit und Leere ein. Damit will umgegangen werden. Der Blick nach draußen – auf die Natur – kann dabei hilfreich sein und gut tun. Dabei kann ich mein Augenmerk auf Hoffnungsvolles richten- auch wenn die Bäume noch kahl sind, so haben die Äste und Zweige bereits Knospen- Zeichen für das kommende neue Leben. Ich kann das Unscheinbare, Alltägliche betrachten und in den kleinen Dingen das Große und das Wunder des Lebens entdecken.
Es bricht sich langsam, zart und vorsichtig die Bahn. In mir darf die Gewissheit Raum nehmen: nach jedem Winter kommt ein neuer Frühling. So kann ich von der Schöpfung – vom Wechsel der Jahreszeiten – lernen. Sie zeigt mir, wie Gelassenheit, Geduld und Vertrauen wachsen zwischen Angst und Zuversicht, zwischen Unsicherheit und Halt, im Spannungsfeld zwischen Scheitern und Gelingen. Ich darf entdecken, dass das Wesentliche im Leben nicht machbar ist. Es ist Geschenk.
Dorothee Sölle (*1929- +2003), Theologin und Mystikerin, sagte „Wir brauchen eine neue Spiritualität, die den Rhythmus des Lebens kennt und akzeptiert. …Wir können uns selbst unterbrechen, um diesen Rhythmus wahrzunehmen und uns in ihm einzustimmen. Er ist vor uns da und nach uns da.“ (in: Mystik des Todes)
In den Brachzeiten des Lebens darf ich Gottes Verheißung trauen, dass er neues Leben schafft. Zeichen und Botschaften dieses neuen Lebens kann ich suchen – im Lauschen auf den Vogelgesang, im Spüren der wärmenden Sonnenstrahlen, im Wahrnehmen der länger werdenden Tage….
Evelin Hasler lädt in ihrem Gedicht „Brachzeit“ ein, sie zu schätzen und zu genießen:
Vom Winter lernen/
der Stille vertrauen!
Der Sprengkraft des Unsichtbaren
und dem Sammeln in den Kammern/
während der Brachzeit./
Vom Winter wieder lernen/
Sich überschneien zu lassen/
ohne Furcht.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine erfüllte Winterzeit! Ute Thalmann