ev. Pfarrer Jörg Reichmann Pößneck
Schriftwort: Lukas 19, 37 -40
Als Jesus das Wegstück erreichte, das vom Ölberg zur Stadt hinunterführt, brach die ganze Schar der Jünger in Freudenrufe aus; mit lauter Stimme priesen sie Gott für all die Wunder, die sie miterlebt hatten.
»›Gesegnet sei ER, der König, der im Namen des HERRN kommt!‹ riefen sie. »Frieden bei dem, der im Himmel ist, Ehre dem, der droben in der Höhe wohnt!« Einige Pharisäer aus der Menge erhoben Einspruch. »Meister«, sagten sie zu Jesus, »verbiete es deinen Jüngern, so zu reden!« Doch Jesus gab ihnen zur Antwort: »Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien!« (Neue Genfer Übersetzung)
Liebe Schwestern und Brüder!
Kantate! Singt! Singt dem HERRN ein neues Lied! So heißt der 4. Sonntag nach Ostern. Vom Singen ist in der kurzen Erzählung des Lukas nicht die Rede. Musikalisch wird die beschriebene Szene wohl eher eine gewaltige Herausforderung für empfindliche Ohren gewesen sein: Wir lesen von stürmischen Freudenrufen und einem sich überschlagendem Lobpreis für Gottes Wundertaten, der sich zu einem ungestüm vorgetragenen Psalmzitat steigert. Die Jünger waren offensichtlich ganz außer Rand und Band geraten. Denn jetzt zog Jesus in Jerusalem ein – und sie mit IHM. Sie würden Zeugen sein, wie ER SEINE Macht entfaltete, endlich die Römer aus dem Land jagen und das ewige Königreich Davids errichten würde. So hofften sie inständig. Dass es völlig anders kommen sollte, konnten sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Das überstieg ihren Horizont bei weitem.
Es fiel ihnen überhaupt nicht auf, dass Jesus so merkwürdig still auf seinem Esel saß. Einigen Pharisäern, die zwischen den Menschen am Wegesrand standen, fiel das aber sehr wohl auf. Wir kennen die Pharisäer aus den Evangelien als die theologischen Bedenkenträger. Es muss ihnen irgendwie gelungen sein, an Jesus heranzukommen. ER nahm sie ernst. ER hörte ihnen zu. ER ließ sie ausreden, die Andersdenkenden, selbst wenn ihre Forderung in diesem Moment des überschäumenden Jubels völlig daneben war. »Meister«, sagten sie zu Jesus, »verbiete es deinen Jüngern, so zu reden!«
Gründe nannten die Pharisäer nicht für ihren Einspruch. Sicher ging es ihnen zu weit, dass hier ein lebender Mensch, und sei er ein Rabbi, der Wunder tun konnte, als verheißener Messias und endzeitlicher König im Namen des HERRN gepriesen wurde. Der Messias, der kam nach ihrer Vorstellung in einer endzeitlichen Katastrophe, mit dem vollen Aufgebot der himmlischen Heerscharen, mit größtmöglichem Orchester und unübersehbarer Herrlichkeit. Dieser einfache Mann auf dem Esel als Messias – das konnte nicht sein. Das überstieg ihren Horizont bei weitem.
Jesus unterbrach weder den Jubel der Jünger noch stieß ER die Pharisäer vor den Kopf. ER antwortete ihnen auf SEINE Weise, mit einem prophetischen Wort, das ihrer aller Horizont bis in weite Zukunft erweitern sollte: Jesus gab ihnen zur Antwort: »Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien!«
Foto: Privat (J. Reichmann)
Was für ein gewaltiges Bildwort – und ein prophetisches dazu, das sich immer wieder erfüllt hat in der Geschichte der Menschheit. Nur zwei Generationen nach der Kreuzigung und Auferstehung Jesu bereits zum ersten Mal: Da wurde nach dem gescheiterten Aufstand jüdischer Freiheitskämpfer der Tempel in Jerusalem von den Römern zerstört – bis auf die eine Mauer, die bis heute den Namen „Klagemauer“ trägt. Die Steine der Mauer erzählen von der jahrhundertelangen Heimatlosigkeit und Verfolgungsgeschichte des Gottesvolkes und sind sein heiligster Ort. Leider sind sie ebenso im Laufe der Jahrhunderte zum Symbol der Unversöhnlichkeit der Menschen verschiedenen Glaubens geworden. Die den Juden heilige Klagemauer trägt das drittwichtigste Heiligtum des Islam.
Jesus sagt: »Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien!«
Wie jedes Bildwort trägt allerdings auch das von den schreienden Steinen mehrere Verständnismöglichkeiten in sich. Neben der Mahnung, das Gotteslob und das Leben nach SEINEN Geboten nicht zu vergessen, erinnert es auch daran, dass selbst die Steine zum Träger der Verkündigung werden können. Das können die gigantischen Felsen der hohen Berge sein, die die Schönheit der Schöpfung und die Größe des Schöpfers preisen. Oder auch die altehrwürdigen steinernen Zeugnisse der christlichen Geschichte, wie wir sie zum Beispiel in Irland finden.
Als die Mönche den christlichen Glauben bereits sehr früh auf die grüne Insel brachten, erbauten und gestalteten sie bald darauf die ersten dieser eindrucksvollen Steinkreuze in der Nähe der Klöster. In feiner Steinmetzkunst ausgeführt erzählen sie den Betrachtern biblische Geschichten in bildlicher Darstellung. Denn die Kultur der keltischen Einwohner Irlands kannte keine Schrift. Das änderte sich erst, als die Mönche begannen, die Bibel ins Irisch – Gälische zu übertragen und dazu ein eigenes Alphabet entwickelten. Aber auch dann blieb die „Bilderschrift“ der Steinkreuze für die meisten Menschen wichtig, denn Bücher und Texte lesen konnten damals nur wenige aus der Oberschicht. Das Gute an den steinernen Kreuzen: Ihr Zeugnis des christlichen Glaubens überdauerte viele hundert Jahre schon jeden Sturm und jedes Unwetter. Sie erheben auch heute noch ihre Stimme, stehen unverrückbar und unübersehbar in der irischen Landschaft – im Gegensatz zu ihren Gestaltern, die schon längst für immer schweigen. Amen
Gebet:
HERR, unser Gott, offenbare DICH in unserer Welt, dass DIR Loblieder gesungen werden für DEINE Gnade und Liebe.
HERR unser Gott, gib DEINEN Kirchen und Gemeinden DEINEN Geist, der sich hören lässt in unserem Zusammenleben.
HERR, unser Gott, hilf, dass unsere Worte verbinden statt zu verletzen, dass unsere Gedanken nutzen statt zu schaden und unser Handeln anderen weiterhilft.
HERR, unser Gott, lehre uns, den Klang der Stille zu hören, in der nur DU sprichst. Und wenn unter uns alles laut ist von Schreien und Klagen, dann schenke uns Worte, die Vertrauen schaffen und Taten, die Erleichterung verschaffen.
HERR, unser Gott, komm mit DEINER Kraft in unser Leben, sei bei den Kranken, trage die Unheilbaren und erwecke die Sterbenden in der Heimat bei DIR. Amen
Beten wir das Vaterunser:
Vater unser im Himmel
geheiligt werde Dein Name
Dein Reich komme
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden
Unser tägliches Brot gib uns heute
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen
Es segne uns der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
AMEN